Skizzen aus der Geschichte
des
Revaler Vereins für Männergesang
von
Ernst Siebert
Reval, 1925
Buchdruckerei der A.-G. „Ühiselu".
Skizzen aus der Geschichte
des
Revaler Vereins für Männergesang
von
Ernst Siebert
Reval, 1925
Buchdruckerei der A.-G. „Ühiselu".
Zum Festaktus am 9. Mar 1925, anläßlich
des 75-jährigen Jubiläums, vorgetragen
vom Präses des Vereins
Dr. Johannes Luchsinger.
Verehrte Fe st genossen, meine Damen
und Herren!
Der „Renaler Verein für Männergesang" gegrün
det am 5. April 1849, kann heute aus ein ununter
brochenes 75-jähriges Bestehen zurückblicken. Gestat
ten Sie mir daher, m. Damen und Herren, Ihnen
über die Entstehung des Vereins, seines Namens
und seiner Geschicke in kurzen, allgemeinen Zügen zu
berichten.
Bereits im Jahre 1843, also 6 Jahre vor der
Gründung unseres Vereins, bildete sich in Reval ein
Verein für Männergesang unter der Benennung:
„Liedertafel zu Reval", der unter der Lei
tung des späteren Gouvernements-Schuldirektors
Dr. Leopold Gahlnbäcks stand, und sich nur
aus aktiven Mitgliedern zusammensetzte.
Als im Jahre 1847, angeregt durch das Beispiel
der „Rigaer Liedertafel", der Beschluß gefaßt wurde,
dem Verein eine erweiterte Verfassung zu geben,
indem in seinen Bestand auch passive Mitglieder
aufgenommen werden sollten, erklärte der Musiklei
ter, Dr. Gahlnbäck, sich den dadurch hervorgerufenen
größeren Anforderungen nicht mehr gewachsen zu
fühlen und legte sein Amt nieder. Da es nicht
gelang eine paffende musikalische Kraft ausfindig zu
3 .
machen, sah sich der Verein genötigt seine Tätigkeit
auf unbestimmte Zeit einzustellen, bis sich, rote es
wörtlich im Protokoll heißt — durch die immer
währende Fluktuation von Künstlern in unserer Stadt
ein geeigneter Mann zur Uebernahme der musikali
schen Leitung fände. — Dieser Fall trat erst IV2
Jahre später ein, als das damalige Mitglied des
Theater-Orchesters, der spätere Musikdirektor und
Gründer des „Revaler Vereins für Männergesang",
August Krüger, die ehemaligen Mitglieder der
„Liedertafel zu Reval" rote auch andere Liebhaber
des Gesanges aufforderte, sich am 5. April 1849
zur Gründung eines „Männergesangvereins"
zu versammeln. Diesem Rufe folgten 19 Herren,
darunter 6 Gründer der ehemaligen Liedertafel. Gleich
zu Beginn dieser Beratung wurde die Frage erör
tert, ob die am heutigen Tage sich konstituierende
Gemeinschaft für eine durchaus neue oder nur für
eine Fortsetzung der suspendierten Liedertafel gelten
solle. Rach eingehendem Meinungsaustausch einig
ten sich die Versammelten dahin, daß der heutige
Zusammentritt der anwesenden Herren zur Stiftung
eines „Vereins für Männergesang" nur
als eine Erneuerung der seit mehr denn Jahresfrist
suspendierten Liedertafel betrachtet werden dürfe und
es wurde mit Majorität der Stimmen folgende
Erklärung zu Protokoll genommen:
Richt allein die anwesenden Herren, welche
der Einladung des Herrn Krüger gefolgt sind,
sondern auch diejenigen, an welche seine Auffor
derung gerichtet war und die zu erscheinen wohl
abgehalten sein mögen, sowie endlich jedes hier
lebende Mitglied der suspendierten Liedertafel, sind
faktisch als Mitglieder dieses „Vereins für
Männergesang" anzusehen, wenn nicht etwa der
eine oder andere sich selbst als ausgeschieden
ausdrücklich bezeichnet.
4
Wenn auch somit die „Liedertafel zu Reval" als
direkte Vorgängerin unseres Vereins zu betrachten
ist, umsomehr als über die Hälfte ihrer Mitglieder
sogleich der neuen Gemeinschaft beitraten, so beginnt
doch infolge der neuen Benennung dieser Gemein
schaft die Geschichte des „Revaler Vereins
für Männergesang", wie bereits eingangs
erwähnt, mit dem historischen 5. April 1849.
Unser hochgeschätzter Bruderverein, die „Reva
ler Liedertafel", ist am 2. Juni 1854 von
Eduard Plaesterer gegründet worden und
steht mit der alten Liedertafel zu Reval in keinerlei
Beziehung.
Auf der konstituierenden Versammlung kam
bereits der Entwurf eines Statuts zur Verhandlung,
welcher auch von der Versammlung angenommen
wurde und bald daraus die schon damals erforder
liche ministrielle Bestätigung erhielt. Diese Statuten
unterlagen im Laufe der Jahre verschiedenen zeitge
mäßen Abänderungen. Ebenso wurde ein provisori
scher Vorstand gewählt, dessen erstes geschäftsführen
des Mitglied Herr Oberlehrer Hausmann wurde.
Das Amt eines Vorsitzenden oder Präses — in
jüngster Zeit noch eines Vicepräses — wurde erst in
den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts
kreiert, bis dahin war die Wahrnehmung der Inter
essen des Vereins einem Geschäftsführer anvertraut,
der zugleich den Verein nach innen und außen ver
trat. Daß der Verein auch ^ald nach seiner Grün
dung seine Tätigkeit begann, ist daraus zu ersehen,
daß er bereits am 10. August des Gründungsjahres
der in Reval weilenden Kaiserin Alexandra Feodorowna anläßlich eines ihr gebrachten Fackelzuges,
vor dem Palais in Katharinental, einige Lieder vor
trug. Derartige Serenaden sind im Laufe der Jahre
nicht nur hohen und Höchsten Personen, sondern
auch offiziellen Regierungsvertretern häufig gebracht
worden. An einer dieser Serenaden, die dem neu
5
ernannten Generalgouverneur der Ostseeprovinzen,
Baron v. Lieven/ zugedacht mar, konnte der Verein
sich nicht beteiligen, da der größte Teil der
Sänger dem SchwarzenHäupter-Gorps
angehörte und dieses in Paradeuniform ant gleichen
Tage zu erscheinen und zu fungieren hatte.
Die ersten Uebungen haben bereits in diesem
Hause stattgefunden, weshalb der Verein bei der
Kommission „des löblichen Schwarzenhäupter-Klubs"
darum nachsuchte, daß diese bewirken oder erlauben
wolle, daß für die Zwecke der Gesangübung das
obere Lokal dieses Klubs
— gemeint ist der
Brudersaal — jeden Mittwoch von 9—11
Uhr abends dem Verein zur Benutzung freigegeben
werde, woraus sehr bald die Bewilligung dieses
Gesuches erfolgte. Als Uebungslokale haben dem
Verein — beiläufig bemerkt — im Lause der Jahre
alle in Reval bestehenden deutschen Klubs, ja selbst
die Große Gilde gedient, bis dann 1911 das erste
Uebungslokal, der Schwarzenhäupter-Klub, wieder
bezogen wurde und hoffentlich für alle Zeiten fein
Standquartier bleiben wird.
Nachdem, wie es ferner im Protokoll heißt, durch
ein Zirkulär Aufforderungen an alle Freunde des
Männergesanges zur Teilnahme als aktives oder pas
sives Mitglied ergangen waren, ergab sich bereits
zum 1. September ein Bestand von 47 aktiven und
86 passiven Mitgliedern. Aber bereits im Novem
ber war die Wtgliedtzxzahl auf 200 angewachsen, so
daß sich die General-Versammlung veranlaßt sah,
infolge mangels eines geeigneten Lokals, welches alle
Mitglieder gegebenen Falles aufzunehmen vermochte,
die Zahl der passiven Mitglieder auf 150 Personen
zu beschränken, während die Aufnahme aktiver Mit
glieder einstweilen unbegrenzt bleiben sollte, jedoch
mit der Bedingung, daß der Angemeldete vor dem
Ballotement sich einer strengen Prüfung in Hinsicht
auf seine musikalischen Fähigkeiten zu unterziehen habe.
6
Wie wir sehen ist die Lokalfrage bereits vor 75 Jah
ren akut gewesen, es dürfte aber auch die wahr
scheinlich sehr starke Beteiligung der Mitglieder
bei allen Veranstaltungen und Zusammenkünften des
Vereins, so namentlich auch der Uebungsabende durch
die Passivität, mit zu diesen Resolutionen Veranlas
sung gegeben haben. Auf den regelmäßigen Besuch
der Uebungsabende wurde ein großes Gewicht gelegt,
wofür die außerordentlich rigorosen Bestimmungen
sprechen, die in der heutigen Zeit wohl nicht gut
anwendbar sind. So galten als triftige Entschuldi
gungsgründe nur Krankenlager oder dringende Ge
schäfte, doch mußten diese Abhaltungen noch vor
Beginn der Uebung dem Geschäftsführer schriftlich
mitgeteilt werden. Der Zuwiderhandelnde verfiel
einer Geldpön und im Nichtzahlungsfalle nach drei
maliger Monierung, dem Ausschlüsse aus der Akti
vität, was einem vollständigen Ausschlüsse gleichkam,
da die Aufnahme von Mitgliedern den gesonderten
Gruppen, aktiven und passiven, auch gesondert über
lassen war. — Interessant ist, daß eine Zeit hindurch
die zur allgemeinen Uebung in Aussicht genomme
nen Lieder gewissermaßen einer Klangprüsung durch
ein doppelt besetztes Quartett unterzogen wurden,
welches dann zu bestimmen hatte ob die Gesänge
geeignet wären auch den Zuhörern zu gefallen. Ein
Zugeständnis dem Publikum gegenüber, welches uns
heute unverständlich erscheint, sind doch der Musik
leiter und das musikalische Komitee die einzigen kom
petenten Instanzen welche, in dieser allerdings sehr
wichtigen Frage, die Entscheidung zu treffen haben.
Weiter heißt es: Wer nur in so geringem Grade
heiser ist, daß er seinen Geschäften nachgehn, Besuche
zu machen und anderweitige Gesellschaften zu frenquentieren vermag, der kann ebenso gut an den Gesang
abenden erscheinen, und ist er etwa durch Heiserkeit
oder sonstwie zu fingen behindert, so wird es fü
fein musikalisches Fortkommen nur gedeihlich sein.
7
den Uebungen, wenn auch nur hörend, beizuwohnen.
Fürwahr eine nachahmungswerte Bestimmung. —
Bereits in der ersten Saison fanden zahlreich besuchte
sogenannte allgemeine Versammlungen mit Damen
in der Börsenhalle statt, welche aus einer Gesangund einer Tanzabteilung bestanden, zu denen auch
die Primaner der Domschule und des Gouverne
ments-Gymnasiums Zutritt hatten. Diesen soge
nannten allgemeinen Versammlungen folgten in spä
terer Zeit regelmäßig veranstaltete Soireen in der
Börsenhalle oder im Schwarzenhäupterhause, welche
dann in den letzten Dezennien bis in die neueste
Zeit hinein durch Familienabende abgelöst wurden
und lebhaften Zuspruch finden. Das erste Liederfest wurde 1851 in der Börsenhalle veranstaltet
und hatte einen derartigen Erfolg, daß es im Som
mer im Badesalon wiederholt werden mußte. Diese
Sommerkonzerte im Freien sind vom Verein häufig,
— immer im Badesalon bis dieser im Sommer 1910
ein Raub der Flammen wurde — veranstaltet wor
den und erfreuten sich beim kunstliebenden Publikum
stets einer großen Beliebtheit. Es kann uns daher
nicht Wunder nehmen, daß in den 50-er und 60 er
Jahren des vorigen Jahrhunderts, als nur wenige
Auserwählte sich den Luxus eines Villenaufenthaltes
leisten konnten und der Badesalon den Treffpunkt
der deutschen Gesellschaft bildete, diese Konzerte als
musikalisches Ereignis und außergewöhnlicher Genuß
aufgefaßt und stark besucht wurden. Der musikali
sche Aufschwung in den 50-er Jahren, nicht nur bei
uns, sondern auch in Riga, Dorpat und vielen klei
neren Städten unserer Heimat, führte dann auch
1857 zum ersten baltischen Sängerfeste
in Reval, welchem 1861, das von 29 Sängern
und zahlreichen passiven Mitgliedern des Vereins
besuchte zweite Sängerfest in Riga folgte."
In demselben Jahr wurde, wohl in Hinblick auf
das bevorstehende Sängerfest, 'das in derselben Form
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noch heute bestehende Vereinsabzeichen gestif
tet, nur mit dem Unterschiede, daß es anfangs ohne
Band getragen wurde. — Das Jahr 1866 verei
nigte nicht nur die Sangesbrüder des Baltikums in
Reval, sondern es waren auch St. Petersburg mit
einem Chor von 71 Personen, ferner Moskau, Twer
und Wiborg herbeigeeilt, um sich mit uns Balten
im Liede zu vereinen. Das Festkomitee dieses 3.
baltischen Sängerfestes bestand aus Vertretern des
„Revaler Vereins für Männergesang", der „Revaler
Liedertafel" und der „Eintracht". — Als Präses
fungierte das Mitglied unseres Vereins, der damalige
Syndikus des Rates, später das erste Stadthaupt
von Reval, Oscar v. R i e s e m a n n, unvergesse
nen Gedenkens, der bereits 1861 den Verein in
Riga vertreten hatte. Ueber diese, für die damalige
Zeit grandiose Veranstaltung liegen uns in der Zei
tung zum Revaler Gesangfest 1866 detaillierte Schil
derungen vor, unser Verein hat aber auch — wohl
einzig dastehend — die Freude, zwei Teilnehmer an
diesem Feste heute noch zu seinen Ehrenmitgliedern
zählen zu können, die damals vor nun 58 Jahren
als Festordner und Tanzvorsteher Augenzeugen jener
längst verklungenen, schönen freien Zeit gewesen sind.
Es sind dies die Herren Roman v. Äntropoff
sen. und Konsul Nicolai Koch, 61 resp. 55
Jahre Mitglieder unseres Vereins. Ein besonderer
Gruß gelte heute diesen Veteranen, die das gütige.
Geschick uns noch lange erhalten möge. — Mit dem
im Jahre 1880 in Riga veranstalteten und auch
von uns beschickten Sängerfeste, harten diese ihren
Abschluß erreicht, da das für das Jahr 1911 oder
1912 in Reval geplante Sängerfest, aus hier nicht
zu erörtenden Gründen, nicht zu Stande kam.
Die Sängerfeste gaben aber auch die Veran
lassung zur Gründung eines baltischen Sän
gerbundes, der sich, auf die Initiative Rigas
hin, auf dem ersten Bundestage 1863 in Riga
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konstituierte und an dem als Bevollmächtigter unse
res Vereins Oskar v. Riesemann teilnahm. Der Sän
gerbund hatte aber keine lange Lebensdauer, da er,
mit der einsetzenden, hauptsächlich gegen die Ostseepro
vinzen gerichteten antideutschen Strömung in den
russischen Regierungskreisen, welche vom bekannten
Juri Samarin iu Fluß gesetzt worden war und zur
berühmten „Livlän dis ch en Antwort" Karl
Schirrens führte, seine Tätigkeit aufzugeben sich ver
anlaßt sah. Rur eine Sammlung von Bun
desliedern zeugt heute von der Existenz dieser
harmlosen, nur der Pflege des deutschen Liedes
dienenden Gemeinschaft
Auf dem alldeutschen Sängerfeste in
Dresden 1 8 6 5, war unser Verein durch eine
Delegation mit der Fahne, bestehend aus den Herren:
Heinrich Büttner, Alexander Broffe, August Iohannsen, Peter Barth und dem Musikdirektor August
Krüger vertreten. Wenn nur die baltischen Sängerfeste in erster Linie der gemeinsam auszuübenden
Kunst des Gesanges galten, so waren sie aber doch
zweifellos die Veranlassung, die das Band der en
gen Beziehungen anknüpfte, welche die deutschen
Gesangvereine in der Heimat und zum Teil auch im
weiten russischen Reiche miteinander bis zum heutigen Tage verbinden. Gegenseitig einander zugesandte
Berichte über die Tätigkeit, Mitgliederverzeichnisse, auch
gelegentliche Besuche einzelner Mitglieder in den be
freundeten Vereinen, Einladungen zu den Stiftungs
tagen oder festlichen Veranstaltungen, bildeten den
äußeren Beweis dieser Freundschaft, die aber erst
recht zur Geltung kam, wenn es galt einen befreun
deten Verein hier oder anderwärts anläßlich eines
historischen Gedenktages in irgend einer Form zu
ehren. Wenn auch zu den Jubiläen der hiesigen
Vereine, mit denen uns so manche gemeinsam voll
führte Großtat verbindet, die aktive Teilnahme unse
res Vereins eine selbstverständliche und große war.
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so umreit wir mit einer größeren Zahl von Mit
gliedern doch nur zu den 50-jährigen Jubiläen der
„St. Petersburger Liedertafel 1890" und des „Rigaer
Liederkranzes 1901" vertreten. Die gastfreundliche
Aufnahme bei diesen Festen wird zahlreichen auch
heute hier Anwesenden noch in dankbaren Erinne
rung sein. Aber auch kleinere Abordnungen haben
wiederholt an den Gedenkfeiern anderer uns be
freundeter auswärtiger Vereine teilgenommen.
Das 25 jährige Jubiläum wurde be
reits im Kreise zahlreicher Gäste am 5. bis zum 7.
April 1874 begangen. Die St. Petersburger Lieder
tafel und der Rigaer Liederkranz waren durch Deputa
tionen vertreten und überreichten als Festgeschenk —
erstere ein Album, letzterer einen Pokal. Ferner
waren
vertreten, die „Revaler
Liedertafel"
und die Revaler „Eintracht", welche ebenfalls
Pokale übergaben. Der Vorstand überreichte dem
Verein ein A l b u m mit b e n Bildern der
zum Jubiläum noch 'lebenden Gründer. Der Vorstand bestand aus: August Arm
sen, Dr. Edmund A d e l h e i m, Theodor
Stempel, Heinrich Peterfen, Arthur
Ploschkus, Alexander Meyer, August
Krüger, Earl Brunow. Präses des anläß
lich dieser Feier gebildeten Festkomitees war Oscar
v. Niesemann. Am 5. April fanden statt der Festaktus und das Festkonzert in der Börsenhalle und
das Festbanquekt im Schwarzenhüupterhause. Dortselbst am Tage darauf der Festball. Am 7. April
veranstaltete ein aus Petersburger Musikern zusammen
gesetztes Streichquartett ein Konzert im Aktienklub.
Abends erfolgte die Abfahrt der auswärtigen Gäste.
Zum Festaktus wurde die große Fahne des
Vereins die Vorgängerin des neuen Banners,
von Frau Rosa Iohannsen, geb. Brosse, derGattin des Gründers August Iohannsen, überreicht in
deren Wohnung sie von einer Damengruppe gestickt
11
worden war. Von diesen Damen, die das kostbare
Symbol in mühevoller, aufopferungssrendiger Arbeit
gestickt haben, haben wir die hohe Freude als
einzige, die Witwe des damaligen Vorstandsgliedes,
Theodor Stempel, Frau Elise Stempel, an
dem heutigen Feste teilnehmen z i sehen. Unsere
ehrerbietige Huldigung gelte heute der mit den Ge
schicken des Vereins seit über 50 Jahren vertrautem
hochverehrten, gnädigen Frau!
Festlicher und im größeren Slyle als die Verhält
nisse es heute erlauben, wurde das 5 0-jährige
Jubiläum unseres Vereins im Mai 1899 begam
gen. Dieses Fest bildet einen Markstein in der
Geschichte des Vereins. Von langer Hand sorgfäl
tig vorbereitet, mit keinen finanziellen Sorgen be
lastet, von herrlichem Sommerwetter begünstigt, nahm
es einen außerordentlich harmonischen Verlaust der
in jeder Beziehung befriedigen konnte. Außer den
hiesigen Gesangvereinen, der „Revaler Liedertafel",
deren Chor zum Festaktus ein Begrüßungslied fang,
dem russischen Gesangverein „Gußli", dem „Jäkelschen" und dem „St. Nikolai-Gesangverein", waren
260 Mitglieder auswärtiger Vereine eingetroffen, 6
davon mit Chören und Soloquartetten- So die
„Moskauer Liedertafel" und der „Moskauer Männer
gesangverein" mit Chören und Quartetten, ebenso
mit Chören die Rigaer Vereine „Liedertafel, Lieder
kranz, Sängerkreis und Männergesangverein", welch
letzterer uns gar mit 2 Soloquartetten erfreute. Den
Höhepunkt des Jubiläums bildete das Festkonzert in
der für diesen Zweck vom Verein auf seine Kosten
gedielten Rotunde des Ausstellungsplatzes, welchen
der Estländische landwirtschaftliche Verein zur Jubi
läumsfeier zur Verfügung gestellt hatte. Unter der
Leitung unseres unvergeßlichen Musikdirektors Carl
Brunow, hatte das Konzert einen durchschlagenden
Erfolg. Auf dem Programme der ersten Abteilung
standen außer den Liedern ä capella, kleinere Chor-
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werke mit Orchester, so der „Hymnus an die Ton
kunst v. Rheinberger, die gewaltige „Allmacht" von
Schubert-Lißt, welche unter Mitwirkung Herrn A. v.
Fossards, der die Tenorpartie übernommen hatte, zu
ergreifender Wirkung kam. Ferner gab das Beckersche Tonstück „Ave Maria" uns wieder Gelegenheit
uns an dem glockenreinen Gesang der Frau Helene
Luther, die wir heute unter uns zu sehen uns
ganz besonders glücklich schätzen, erfreuen zu können.
Die zweite Abteilung wurde durch den „Kolumbus"
v. Heinrich Zöllner ausgefüllt. Den „Kolumbus"
hatte in elfter Stunde der bei der alteren Genera
tion wohl noch in gutem Andenken stehende Opern
sänger Wollersen übernommen, da Herr Bernhard
v. Schulmann sich eine so schwere Indisposition
zugezogen hatte, daß er bei der Generalprobe viel
fach nur markieren tonnte. Die Tenorpartie sang
Herr v. Fossard. Da hier am Ort Ende Mai kein
Orchester zu haben war, so mußte das Laudiensche
Orchester aus Libau verschrieben werden, welches
feine Aufgabe auch ausgezeichnet löste. Die Rotunde
des Ausstellungsplatzes erwies sich aber auch als
vortreffliches Festlokal, welches bequem die 70 0
Teilnehmer der Jubiläumsfeier aufnehmen
konnte, während kein Saal unserer Stadt diese statt
liche Menge auch nur annähernd hätte fassen können.
Zum Festaktus wurde auch das von den Frauen
den Sängern gestiftete neue Banner, von
einem Damenkomitee, dessen Sprecherin die Gemah
lin des Präsidenten, Frau v. Hoerschelmann,
war, übergeben. Erwähnen wollen wir heute noch,
daß den Abschluß des ersten Tages ein zwangloser
Abend mit Damen bildete, unter dessen Darbietun
gen das Festspiel „Die 3 Türme", gedichtet, in Mu
sik gesetzt und dirigict von unserem jetzigen Ehren
präses, dem früheren langjährigen Präses des Vereins
Ehristoph Mickwitz, hervorgehoben sei. Zum
Jubiläum wurden in Anbetracht ihrer großen Ver-
13
bienfte um das musikalische Leben der Stadt und
unseres Vereins im Besonderen zu Ehrenmit
gliedern creiert: Frau Helene Luther und
Herr Bernhard v. Schulmann. Ferner der
Präses des „Rigaer Liederkranzes", Herr Robert
Braun, der Präses der „Moskauer Liedertafel",
A. de Lafontaine und der Präses der „St.
Petersburger Liedertafel", Herr A. Bogt. Im Ok
tober desselben Jahres wurde dann noch in Erinne
rung an das Jubiläum, das dazu Veranlassung gab,
die seit der Gründung des „Revaler Vereins für
Männergesang" nahen Beziehungen zu dem ältesten
Sängerverein nicht nur in den baltischen Landen,
sondern im ganzen Reiche von neuem zu kräftigen,
der Präses der Rigaer Liedertafel, Herr Max v.
Reibnitz, zum Ehrenmitglied creiert. — Präses
unseres Vereins zum Jubiläum war Edwin v.
Hoerschelmann, derVorstand bestand aus: Char
les Froese, Heinrich Nagel, Georg Ha
mann, Rudolph Lehbert, Dr. Julius Kusick, Friedrich Meybom. Musikdirektor
war Earl Bruno w. — Außer Herrn Lehbert,
den wir auch heute noch als eifriges aktives Mitglied
die Freude haben unter uns zu sehen, deckt alle
übrigen, um den Verein hochverdienten Männer,
schon längst der grüne Rasen. — Sie ruhen in Frie
den.— Die Damen Frau v. Hoerschelmann,
Frau Froese, Frau Hamann und Frau
Lehbert, die damals das Fest mitmachten und
auch heute durch ihre Gegenwart das Fest verschönen,
begrüßen wir in ehrfurchtsvoller Freude.
Die alljährlichen Stsitungstage wurden regel
mäßig begangen — nur während der Kriegszeit trat
durch das Sprachverbot bedingt eine Unterbrechung
ein — und zwar in den ersten Dezennien in der
Börsenhalle, zu denen auch die Aeltermänner der
„Großen Gilde" eingeladen wurden, aber nur in
dem Falle, wenn der Saal gratis abgegeben
14
war; später wurde zu diesen Veranstaltungen der
Badesalon benutzt, bis er, wie bereits erwähnt, dem
Feuer zum Opfer fiel. Die letzten Stiftungstage
fanden hier im Haufe statt.
Hier sei eingeschaltet, daß bereits zum ersten
Stiftungstage des Vereins ein vom damaligen geschäftsführenden Mitgliede, Oberlehrer Hausmann,
gedichteter Prolog zum Vortrage kam, dessen gedruck
ter, vorliegender Text aus dem Nachlaß des längst
verstorbenen Gründers des Vereins, Konsul Andreas
Koch, stammt und dem Verein in jüngster Zeit von
Herrn Andreas Koch jun. geschenkt worden ist.
Solche, an den Stiftungstagen gesprochenen Pro
loge sind in unserem Verein traditionell geworden
und entstammten in den letzten Dezennien, abge
sehen von wenigen Ausnahmen, sämtlich der Feder
unseres Heimatdichters Christoph Mickwitz.
Dieser durchaus humorvolle, die damalige Dich
tungsweise kennzeichnende, Erstlingsprolog sei hier
wiedergegeben:
Gesprochen am 5. April 1850,
als am Stiftungstage des Vereins
für Männergesang
Seit Menschengedenken will sich's gebühren,
An Wiegenfesten zu gratulieren.
Doch wer feiert Geburtstag, wer mag's wohl sein?
Nun wißt: unser singender Männerverein.
Denn heute vor'm Jahr ist's gerade gewesen,
Da that man hier eines Kindleins genesen.
Ein nt ann liches Kind war's, tüchtig und stark,
Gar wohl gegliedert, von kräftigem Mark.
Und als man es bald auch zur Taufe gehalten,
Da hatt's einen trefflichen Namen erhalten.
An dem man nur leider die Kürze vermißt,
Weil am Ende man leichtlich den Anfang vergißt.
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Es hält sich manierlich, läßt viel sich nicht hören,
Mag Niemandes Ruhe und Frieden verstören;
Doch wie ihm die tönende Glocke erschallt,
Wird's munter und schreit mit großer Gewalt.
Und seltsam! Nur je in der Mitte der Wochrn,
Da öffnets den Mund und ihm sährts in die Knochen;
Da kann es nicht lassen nach Noten zu schreien,
Wie sehr man es stillet mit Eier und mit Wein.
An solchem Geschrei und wüstem Vollführen
Thun dann wohl die Leut' ein Behagen verspüren:
Es drängt sich herbei in Schaaren die Welt,
Und eilt es zu hören um schweres Geld.
Und Heuer sogar auf offener Straßen,
Da hat es geschrie'n ach, über die Maßen,
Bei Fackelqualm, Ianitscharenmusik,
Zum bitteren Aerger der Dame Kritik.
„Man sollte", so sprach sie mit drohendem Finger,
„Doch lieber behalten zu Hause im Zwinger
„Den plärrenden Balg, als des Publici Ohr
„So grausam zerreissen im nächtlichen Ehor".
Damit es nicht komme zu Falle und Schaden,
Ist zweimal acht Schultern die Pflicht aufgeladen,
Gar sorglich zu warten Tag aus Tag ein
Das wöchentlich schreiende Kindelein.
Doch wehe! in solch epidemischen Zeiten
Hatt's oft an Husten und Schnupfen zu leiden,
An Heiserkeit auch und — wer mich versteht! —
Am lähmenden Uebel der Passivität.
Und wie auch die Achte es mochten bewahren,
Doch blieb trotz pflegender Hut zu befahren,
Daß leicht wol das ein' und das andere Glied
Des Kindes zur Passivität sich entschied.
Und litt so das Kind nur partiell Paralyse,
Doch stand zu befürchten die tödtliche Krise;
Da rieth man doch lieber zu trennen das Glied,
Das also zur Passivität sich entschied.
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Doch wollte man solcherlei Mittel nicht loben.
Auch hat sich das Uebel meist selbst schon gehoben:
Was nimmer dem klügenden Rathe gelang,
Das wissen geduldigem Warten wir Dank.
Run laßt uns des Kindes Geburtstag bedenken
Und solches mit redlichen Wünschen beschenken:
Es möge noch lange im rüst'gem Gedeihn
Harmonisch am jeglichem Mittwoche schrein;
Auch ferner an wackeren Gliedern sich mehren
Und wachsen fortan in Züchten und Ehren,
Und lieber stets öffnen den Mund zum Geschrei,
Als die Ohren dem lullenden Eiapopei.
Wir wollen es hätscheln in Liebe und pflegen,
In wärmende Hüllen und Windeln es legen:
In gutes Vernehmen, in festen Sinn,
Da tun wir getrost und hoffend es hin.
Und wird's mal schwach und will es erkranken,
Da lasset uns nimmer doch zagen und wanden:
Die muthigen Aerzte — sie geben's nicht auf,
Zu fristen noch länger des Lebens Lauf.
Und all' ihr versammelten Gratulanten,
So Leute vom Fach, wie Musikdilettanten,
O, lasset erschallen ein Hoch! dem Verein,
Dem heut' einjährigen Kindelein.
Seine Hauptaufgabe hat der Verein aber stets
in der Pflege des Gesanges gesehen und er ist seit
seiner Gründung überaus häufig an die Öffentlichkeit
getreten. Bereits in den 60--er Jahren fanden ge
meinsame Konzerte mit den hier bestehenden Ver
einen der „Liedertafel" und der „Eintracht" statt,
galt es nun dem Sängerfestfonds beizusteuern, oder
waren es Gedenktage für die Meister der Tonkunst
und Poesie. So z. B. die Uhlandfeier 1863, Beet
hovens 100-jähriger Geburtstag 1870 und andere
mehr. Stets fanden diese Konzerte, wohl wegen
der Lokalfrage, im Sommer statt, entweder im Bade
17
2
salon oder vor betn Schloß in Katharinental, auch
auf der Insel beim Iungeschen Pavillon, der in der
Folge der Schweikertsche Salon hieß und schließlich
das Sommerkasino der russischen Marine wurde.
Bereits 1863 hatte der Verein zur Entlastung
seines Dirigenten einen Gehilfen in der Person
Dr. Spittas gewonnen Als Dr. Spitta kurz
vor dem Sängerfeste Reval verließ, widmete er noch
dem Verein feinen von ihm gedichteten und kompo
nierten, immer wieder gern gesungenen und gehörten
„Abschied", dasselbe Lied, mit dem unsere Aktivität
den nach dem 50-jährigen Jubiläum heimreisenden
Festgenossen auf dem Bahnhof das Abschiedsgeleit
gab. Dr. Spitta folgte als Gehilfe Geißler und
nach dessen Tode 1868 Earl Brunow. Im Jahre
1883 wurde der Gründer unseres Vereins und sein
erster Dirigent, August Krüger, durch den Tod
abberufen, dessen Verdienste der dankbare Verein
durch die Errichtung eines Denkmals auf seiner
Grabstätte ehrte. Gestern hat eine Delegation auf
das Grab dieses unseres ersten Dirigenten in dank
barem Gedenken einen Kranz niedergelegt.
August Krügers Nachfolger wurde
Brunow. Da auch der Gründer des „Jäkelschen
Gesangvereins", Julius Jäkel, seinen Dirigentenstab
in seinem Verein etwa um dieselbe Zeit niederlegte,
wurde Brunow als Dirigent auch in diesen Verein
berufen. So machte es sich denn gewissermaßen
von selbst, daß diese beiden Vereine sich zur Auf
führung zahlreicher Oratorien und Werke unter ihrem
gemeinsamen Dirigenten verbanden. Dieses häufigen
Zusammenwirkens mit dem hochgeehrten Schwesterverein sei heute dankend gedacht. Den Höhepunkt
dieses gemeinsamen Strebens, zu dem auch der
Nikolai Gesangverein seine Mitwirkung zugesagt
hatte, bildete im November 1890 die Aufführung
der „Fritjofs age und des Feuerkreuzes"
von Max Bruch, unter der persönlichen
18
Leitung des Komponisten. Diese Auffüh
rung hatte nicht nur einen großen künstlerischen
Erfolg, sondern sie bedeutete auch eine ganz beson
dere Ehrung für unseren Brunow, dem der im
ganzen recht mürrisch veranlagte Komponist nach der
Generalprobe in Gegenwart des ganzen Chores
seinen Dank und seine Anerkennung für die so ganz
in seinen Intentionen einstudierten Werke aussprach.
Außer diesen gemeinsamen Aufführungen ist der
Verein in zahllosen eigenen Konzerten, die sich in
ununterbrochener Iahreskette durch die Dezennien
hindurchziehen, vor die Öffentlichkeit getreten, nicht
zum Eigenzwecke, sondern er hat sein Können von
jeher bereitwillig in den Dienst der Wohltätigkeit
und gemeinnützigen Institutionen gestellt und auch
seine Kasse herangezogen, wenn hie und da der
pekuniäre Erfolg den Erwartungen nicht entsprach.
Mit der Uebernahme des Dirigentenstabes durch
Brunow begann eine Zeit ganz besonders rastlosen
Strebens und Arbeitens aus dem vorgezeichneten
Gebiete. Unterstützt von einem überaus tatkräftigen
Vorstände, waren diese 20 Jahre, die Aera Bru
now, wie wir sie nennen können, was das Auf
treten vor der Öffentlichkeit anbelangt, wohl der
Kulminationspunkt im Leben des Vereins. — Hinzu
kam, daß sich zu Ende des Jahres 1889 das erste
Soloquartett des Vereins, bestehend aus den
Herren Gori Le h b e r t, Wolde mar v. Köcher,
Bernhard v. Schulmann und Edwin v.
Hoerschelmann, bildete, welches in seinen künst
lerischen Leistungen und stimmlichem Wohlklang uner
reicht dastand. Wenn auch die Ausübung des Lie
des in dieser Form nichts Neues darstellte, — hat
uns doch unsere deutsche Burschenschaft schon lange
vorher so manches schöne Quartett beschert — so
bildete das Auftreten eines Quartetts im Konzert
saale immerhin eine Neuerscheinung, die dem Publi
kum außerordentlich gefiel und durch die vollendete
19
Ausführung helle Begeisterung auslöste. Aus dem
Repertoir seien die von dem längst verstorbenen der
zeitigen Gehülfen des Musikdirektors, Heinrich
Greiffenhagen, dem Quartett gewidmeten Kom
positionen, wie z. B. „Unter dem Helme unter
Schild" — „Ueber dem Busch der Rosen" u a.
hervorgehoben, die als Perlen in der Literatur des
vierstimmigen Männergesanges zu bezeichnen sind.
Die Erfolge des Quartetts beim Publikum waren
nicht die Aeußerung eines mehr oder weniger überall
vorhandenen Lokalpatriotismus, sondern die Leistun
gen des Quartetts waren so hervorragende, daß im
Januar 1890, zur 50-jährigen Jubelfeier der St.
Petersburger Liedertafel, unter den zahlreichen in
einen Wettgesang eintretenden Quartetten, die Palme
des Sieges rückhaltslos diesem Ensemble zugesprochen
wurde. Aber kaum 5 Jahre war es ihm vergönnt
in der alten Zusammenstellung zu singen, da Köcher
1894 Reval verließ und erst 1904 wiederkehrte. In
dieser Zwischenzeit vertraten ihn abwechselnd die
Herren: Eonrad Locher, der auch wiederholt
Gehülfe des Musikdirektors gewesen ist, Max Jäkel,
Erik Gahlnbäck und Arnold v.Mickwitz.
Das letzte öffentliche Auftreten fand statt im März
1908, gelegentlich eines Vereinskonzerts in der Bör
senhalle, wo das Quartett u. a. auch in der Herr
schen Ballade, „Das Herz v. Douglas" mitwirkte.
In demselben Jahre wurde uns Bernhard v. Schul
mann durch den Tod entrissen, ihm folgte bald dar
auf Woldemar v. Köcher, - - 1917 ging Edwin v.
Hoerschelmann von uns und zu Anfang des vorigen
Jahres haben wir auch unseren Gori Lehbert, den
wir noch kurz vor seinem Hinscheiden mit seiner
Kreierung zum Ehrenmitgliede des Vereins erfreuen
konnten, zur letzten Ruhe gebettet. Auch Locher,
Jäkel und Arn. Mickwitz sind dahingegangen. Ver
stummt ist der liederreiche Mund dieser Sänger, die
den Ruhm des Vereins weitergetragen und ein wei-
20
teres unverwelkliches Blatt dem immergrünen Lor
beerkranze des Vereins hinzugefügt haben. — Ihrer
denkt man immerdar!
Diese allgemeine freudige Betätigung leitete dann
zu Anfang der 90-er Jahre den Verein noch auf
ein anderes musikalisches Gebiet hinüber, nämlich
zur Gründung einer Hauskapelle, oder wie sie
später offiziell hieß, eines Vereinsorchesters. Zum
ersten Male ließ die Hauskapelle ihre mit lautem
Jubel aufgenommenen Weifen am 5. Januar 1894,
dem traditionellen Weihnachtsabend des Vereins,
ertönen. Die Zusammenstellung war keine leichte.
Obgleich Streicher und zum Teil auch die Blech
bläser vorhanden waren, so fehlten außer der Flöte,
die anderen Holzinstrumente. Auch diese Schwierig
keit wurde überwunden, da sich einige musikalische
und für die Idee begeisterte Herren mit bewunde
rungswürdiger Energie an die Erlernung dieser mehr
oder weniger spröden Instrumente machten und ihre
Aufgabe auch in glänzender Weise lösten. Elf Jahre
hindurch ist dann das Orchester zu unseren Vereins
veranstaltungen und gelegentlich auch zu Konzerten
aufgetreten, ja, es hat einmal gar der Stadtver
waltung aus einer peinlichen Lage geholfen. Als
nämlich im Mai 1896 die Krönungsfeier Kaiser
Nikolai d. II. von der Stadt durch eine Festvor
stellung im Stadttheater begangen werden sollte,
erwies es sich, daß keine Musikkapelle zur Verfügung
stand, da die Revaler Theaterkapelle bereits ihr
Sommerengagement auswärts angetreten hatte. Die
Stadtverwaltung befand sich in einer peinlichen Lage.
Da bot die Hauskapelle ihre Dienste an, die mit
Dank angenommen wurden. Im Jahre 1905 wurde
das Orchester wegen mangels eines geeigneten Diri
genten — Brunow war 1903 zurückgetreten, sein
Nachfolger Eugen Petersen stand im Begriff nach
Eydkuhnen überzusiedeln — ausgelöst. Der Vor
gänger des Orchesters war ein ausgezeichnet einge
21
spieltes Hornquartett, bestehend aus den Herren r
Nikolai, Rullo, Gnadeberg und Chri
stiansen, welches sich zu den Vereinsabenden wie
derholt hören ließ.
1903 legte Brunow wie erwähnt krankheits
halber sein Amt nieder, dem er 20 Jahre so über
aus erfolgreich vorgestanden hatte, mußte aber bereits
IV2 Jahre später dem Rufe zur ewigen
Ruhe folgen. Tiefbewegt stand der Verein am
Grabe dieses als Mensch und Musiker gleich hervor
ragenden Mannes, der in der Erinnerung Aller,
welche seinem mit souveräner Meisterschaft geführten
Stabe gefolgt sind, in unvergeßlicher Erinnerung
bleiben wird. — Brunows Nachfolger wurde sein
bisheriger Gehülfe Eugen Petersen und nach
dessen Uebersiedlung ins Ausland, nachdem der
Kapellmeister Joseph Wilhelmi den Verein
ein halbes Jahr provisorisch geleitet hatte, im Herbst
1906 Alfred Kirsch fei dt. Seiner fachkundigen,
energischen Leitung ist der Verein gern gefolgt, bis
der ausbrechende Weltkrieg die Ausübung des deut
schen Wortes nnd Liedes in Fesseln schlug. Her
vorgehoben seien uur die zu seiner Zeit erfolgte
Fahrt des Chores nach Petersburg, wo dieser, unter
Kirschseldts Führung, neben anderen Chören am
Konzert im Adelssaal zum Besten der durch das
Erdbeben in Messina Geschädigten teilnahm und
ferner die Sängerfahrten nach Rarva, Wesenberg
und zweimal nach Hapsal. Herrn Alfred Kirschfeldt
heute hier als Ehrengast begrüßen zu können, ge
reicht uns zu besonderer Freude.
Während der Kriegszeit hat der Verein sich nur
mit Trauergesängen bei den Beerdigungsfeierlich
keiten verstorbener Sangesbrüder beteiligt. Proviso
risch haben den Chor der mit den deutschen Trup
pen eingerückte Herr Otto Gläser und Herr
Johannes Paulsen geleitet, dem wir auch an
dieser Stelle unseren Dank aussprechen.
22
Als sich während der unfreiwilligen Unterbrechung
während des Krieges das Bedürfnis nach Betäti
gung unter den Sängern immer mehr und mehr
geltend machte, vereinigte sich unser Chor mit dem
der „Revaler Liedertafel" unter der bewährten Lei
tung des Herrn Konstantin Türnpu. Zwei
Konzerte in der Estonia und zwei Sängerfahrten
nach Dorpat und Helsingfors, in der Periode 1920
Januar — Mär 1921, waren das erfreuliche Ergebnis
dieses Zusammenwirkens. Herr Türnpu hatte dann
auch die Liebenswürdigkeit unseren Chor zur Feier
des 72-jährigen Stiftungsfestes des Vereins einzu
üben und zu dirigieren, wofür dem, um das musi
kalische Leben Revals hochverdienten Manne, auch
an dieser Stelle der warme Dank des Vereins aus
gesprochen sei.
Das Bestreben nach Selbständigkeit trat aber
naturgemäß, namentlich mit der Wiederkehr norma
lerer Zeiten, zutage, und so haben wir denn die
Genugtuung nach einem Interregnum von mehreren
Jahren, seit dem Herbst 1921, in Herrn Walter
Sewigh einen berufenen und bewährten Vertreter
der Kunst, als eigenen Dirigenten erfolgreich in
unserer Mitte wirken zu sehen. Die Zeit seit der
Uebernahme des Dirigentenstabes durch Herrn Sewigh
ist charakterisiert durch ernste Arbeit am Wiederaufbau
des musikalischen Lebens und Könnens in unserem
Vereine. Cs galt vor allem aus dem alten Stamme
und der in den beiden letzten Jahren stets zuneh
menden Anzahl neuer Mitglieder einen homogenen
Chor heranzubilden, der seinem Dirigenten in seinen
Intentionen immer mehr zu folgen im Stande ist.
— Mit dem sich steigernden Können trat der Verein
allmählich auch an ernstere musikalische Aufgaben
heran, wie sie ein Blick in unser Konzertprogramm
überzeugen wird. — In der Periode seit dem Herbst
1921 ist die Aktivität mehrfach mit Darbietungen
bei internen Feiern des Vereins hervorgetreten, mit
23
steigendem Erfolge. — Im vorigen Jahre fand eine
durchaus gelungene Sängerfahrt nach Hapfal statt,
wo die Darbietungen des Chores mit großem Bei
fall aufgenommen wurden. — Aus der jüngst ver
gangenen Zeit fei noch das Bestreben der Leitung
erwähnt, auch die Passivität wieder in näheren Connex mit der Aktivität zu bringen, zu welchem Zwecke
musikalische Abende unter Hinzuziehung namhafter
Künstler ins Leben gerufen wurden. Den verehrten
Künstlern, Damen und. Herren, unseren herzlichen
Dank für die genußreichen Stunden.
Drei Soloquartette, das älteste aus den Herren:
A. Mattiefen, M. Schaefer, E. Wurmberg, I. Saar,
das zweite aus den Herren: Dr. F. Keller, W. Eichwaldt, O. Eichwaldt, I. Tobies und das dritte und
jüngste aus den Herren: C. Lehbert, H. Iucum,
W. v. Grünwaldt, 6. v. Rehren bestehend, haben
uns an manchem Vereinsabend durch ihre schönen
Gesänge erfreut. Ihnen allen, meine Herren, gilt
unser wärmster Dank.
Zum Schluß noch einige bemerkenswerte Ereig
nisse: so der im Frühjahr 1910 erfolgte Besuch der
Berliner Liedertafel, bei welcher Gelegenheit der
damalige Vorsitzende unseres Vereins, Herr Christoph
Mickwitz, auf dem von den beiden hiesigen Gesang
vereinen veranstalteten Kommers im Badesalon die
Gäste im Namen beider Vereine, in einer zündenden
Ansprache bewillkommte und in der Folge zum
Ehrenmitgliede der „Berliner Liedertafel" ernannt
wurde. — Ferner die aktive Teilnahme des Chors
unter der Leitung des Herrn Michael Schäfer,
anläßlich
des
70-sten Geburtstages
unseres Heimatdichters, Christoph Mick
witz, an dem, von der deutschen Gesell
schaft ihm. zu Ehren veranstalteten
Festaktus in diesem Hause und schließlich die
gemeinsame Beteiligung mit der Liedertafel vor bald
24
4 Jahren zur Säkularfeier unseres alten
Schwär zenhäupter-Klubs.
Wenn der „Revaler Verein für Männergesang"
heute ebenso gefestigt dasteht wie vor 75 Jahren,
so hat er es in erster Linie der unwandelbaren
Treue seiner Mitglieder zu verdanken, die trotz wid
riger Umstände, in der Wahrung der alten Tradi
tionen denselben Pfad verfolgten, wie ihre Vor
fahren, indem sie die dem Verein zugemessenen kultu
rellen Aufgaben zu lösen trachteten und dadurch den
Verein auf der musikalischen, nationalen und gesell
schaftlichen Höhe erhielten, die ihn seit altersher zu
einem anerkannten Faktor des deutschen kulturellen
Lebens in unserer Stadt werden ließen.
So lassen Sie uns in treuem Zusammenhalten
und ernster Arbeit auch in Zukunft auf den betre
tenen Wegen, nicht stille stehn; sondern weiter
schreiten, in der Verfolgung des gleichen alten Zieles
— der Pflege des deutschen Liedes und einer edlen
Geselligkeit, der Erhaltung des deutschen Geistes und
der Liebe zur Heimat, denn:
Treu und wahr,
Immerdar,
Sei fort und fort
Uns Losungswort!
25
Bericht des Vorstandes des Renaler Verein
für Männergesang über das Vereinsjahr
1924.
Das Vereinsjabr 1924 können wir als den Höhe
punkt in der Geschichte unseres Vereins ansprechen,
stand es doch zum größten Teil unter dem Zeichen
seines 75-jährigen Jubiläums.
Nachdem bereits im Frühjahr 1923 von der Gene
ral-Versammlung eine würdige, aber dem Ernst dev
Zeiten angepaßte, Feier beschlossen worden war, be
gannen im Herbst desselben Jahres die Vorarbeiten,
indem der Vorstand eine Reihe von Herren gewann,
welche in liebeswürdiger Weise ihre Mitarbeit zuge
sagt hatten und dem Vorstande mit Rat und Tat
zur Seite standen. Es waren das die Herren: unser
Ehrenpräses und Ehrenmitglied Christoph von
Mickwitz, Rudolph Lehbert, Theodor
von Rehren, Paul Schiffer, Erik Gahlnbäck, Karl Stempel, Richard Rank, Leon
hard von Krusenstjern und Hermann von
Rottb eck. Herr Leonhard von Krusenft j e r n wurde auf der General-Versammlung im
Frühjahr 1924 zum Vice-Präses des Vereins gewählt
und trat an seine Stelle der bisherige Vice-Präses
Dr. med. Friedrich Keller.
Dieses durch die kooptierten Herren und dem
Vorstände gebildete Festkomitee, teilte sich in einzelne
Sektionen ein, welche die verschiedenen in Betracht
kommenden Fragen eingehend prüfte und die Resul
tate dem Komitee vorlegte. Allen diesen Herren sei
26
an dieser Stelle der warme. Dank des Vereins für
ihre erfolgreiche Mitarbeit ausgesprochen. —
Die anfangs ins Auge gefaßte Einladung auch
einzelner Helsingforfer Gesangvereine zum Jubiläum
mußte aufgegeben werden, da dadurch stark erhöhte
Kosten hervorgerufen worden wären, wofür das
Komitee die Verantwortung nicht übernehmen wollte
und die Kasse nicht in der Lage war eventuelle
Kurzschlüße zu decken. Doch hatten wir die Freude
außer den Vorständen der hiesigen Gesangvereine,
der Vertreter des Schwarzenhäupter-Korps und des
Schwarzenhäupter-Klubs, auch Deputationen der
Rigaer Gesangvereine: „Liedertafel, Liederkranz,
Sängerkreis und Männergesang", unter ihnen auch
Alfred Kirschseld, der viele Jahre hindurch
unser Dirigent gewesen, sowie des Pernauschen und
des Dorpater Männergesangvereins als auswärtige
Gäste begrüßen zu können. Ganz besonders ehrte
uns die Gegenwart einer mit den Geschicken des
Vereins seit Dezennien vertrauten Gruppe von
Damen. Es waren das die Damen: unser Ehren
mitglied Frau Helene Luther, Frau Toni
von Hoerschelmann, Frau Käte Froese,
Frau L. Hamann, Frau E. Stempel und
Frau Lehbert.
In pietätvoller Weise ehrte der Verein am Vor
abend des Jubiläums seine verstorbenen Sanges
brüder. Nachdem am Vormittag eine Deputation
am Denkmale seines verdienstvollen ersten Diri
genten und Gründers Krüger einen Kranz nieder
gelegt hatte, fand um 7 Uhr abends auf dem Friedpose in Ziegelskoppel eine Gedenkfeier statt. Am
Grabe des ehemaligen Dirigenten zur Zeit des 50jährigen Jubiläums des Vereins, Karl Brunow,
versammelten sich die Teilnehmer. Der Ehor sang
zum Eingang das Lied: Wie sie so sanft ruhn. . .,
worauf Pastor Erich Walter -St. Olai in tief
empfundenen Worten der Gründer und Leiter des
27
Vereins und ihrer zielbewußten von hohen idealen
Gedanken getragenen Arbeit im Interesse des gesammten Deutschtums unserer engeren Heimat ge
dachte. Aber auch allen Sangesbrüdern die in
treuer, selbstloser Pflichterfüllung dem Verein ihr
Bestes gaben und nun auch zur ewigen Ruhe ein
gegangen sind, widmete er Worte aufrichtigen Dan
kes, worauf der Präses Dr. med. H. Luchsinger
mit Worten treuesten Gedenkens einen Kranz am
Grabe niederlegte. Hierauf sang der Chor das Lied:
Stumm schläft der Sänger. . .. Die Teilnehmen
den wurde nun zu den Gräbern der verdienstvollen
ehemaligen Leiter und Sangesbrüder geführt: Edwin
von Hoerschelmann, August Armsen und
Oskar von Riesemann, an derem jeden der
Präses mit Worten des Dankes einen Kranz nieder
legte.
Die Jubiläumsfeier begann am Freitag den 9.
Mai mit einer Fest-Generalversammlung im Schwarzenhäupterhause.
Präzise 12 Uhr eröffnete der
Präses des Vereins Herr Dr. med. Hans Luch
singer die Generalversammlung mit einer kurzer:
Ansprache, in der er in erster Linie aller Verstorbe
nen gedachte und dem festen Willen des Vereins
Ausdruck verlieh, durch ernstes Streben die erreichte
musikalische, gesellschaftliche und nationale Stellung
sich auch in Zukunft zu erhalten.
Dem alten Brauche gemäß erfolgte hierauf die
Kreirung der Senioren Das goldene Ehrenzeichen
für ununterbrochene 25-jährige Mitgliedschaft er
hielten die Herren: Vice-Präses Leonhard von
Krusenstjern, Geschäftsführer Bruno Arm
sen, Hernrich Hradetzky, Dr. med. Paul
Armsen, Gerhard Brockhausen, Einil
Fahle, Hermann G o e n s e n, Wilhelm
Goensen, Gerhard von Hueck, Dr. med.
Max von Middendorfs und Richard Rank.
Herrn Bruno Armsen überreichte der Präses
28
mit Worten des Dankes für feine 20-jährige Tätig
keit als Geschäftsführer des Vereins ein silbernes
Ehrengeschenk, worauf der Empfänger tiefgerührt
durch diese Ehrung der Versammlung seinen auf
richtigsten Dank aussprach. — Darauf wurden auf
Vorschlag des Vorsitzenden per Akklamation zu Eh
renmitgliedern kreiert:Alexander Rosenbaum,
für 50-jährige Mitgliedschaft, ferner die Herren:
Wilhelm Borchert, Rudolph Lehbert,
Eduard Bätge und I o h n v o n H u e ck. So
dann Herr Jakob Eberhard, der Präses des
Rigaer Liederkranzes, mit dem unseren Verein jahr
zehntelang freundschaftliche Bande verknüpfen und der
bekannte baltische Tonkünstler Otto MuyschelBerlin. Damit hatte die Generalversammlung
ihren Abschluß erreicht.
Der Generalversammlung folgte unmittelbar der
Festaktus.
Ein reicher Damenflor belebte das festliche Bild,
welches der schöne „Weiße Saal" des Schwarzen
häupterhauses in seinem Feiertagsgewande dem Auge
darbot, als die Stunde der Eröffnung des Festaktus
herannahte. Nachdem die Sänger sich itt den obe
ren Räumen paarweise geordnet hatten, stellte sich
der Vorstand an die Spitze und der Zug betrat den
Saal, gefolgt vom Vorstande der „Revaler Lieder
tafel" in corpore, den Vertretern der „Pernauer"
und „Dorpater" „Männergesangvereine", mit ihren
Fahnen und Bannern, von der Versammlung ste
hend empfangen. Als die angewiesenen Plätze ein
genommen waren und der Ehor auf dem Podium
Aufstellung genommen hatte, ertönte als Begrüßung
der Weihegruß von Richard Wagner, mit nach
stehendem, von unserem unvergeßlichen Christoph
von M i ck w i tz verfaßten Texte:
„Ein selt'nes Fest ward heute uns geschenkt.
Ein Fest dem jubelnd alle Herzen schlagen,
29
Ein Fest das weit zurück die Blicke lenkt,
Bis zu der Väter längst vergess'nen Tagen.
Du Sängerbund schon 75 Jahr —
In Ehren stand dein Wahlspruch „Treu und Wahr".
Das deutsche Lied, als Erbe uns vermacht,
Ist seit der BäLer Zeiten hier erklungen.
Sie hielten treu die tapfre Fahnenwacht
Und ihrem Banner folgten auch die Jungen.
Auch uns war immer deutsches Lied und Wort
Wegwart und Leuchte, war uns Trost und Hort.
Und heute reichen froh wir uns die Hand.
In frischer Kraft ihr werten Sangesbrüder,
Uns alle eint ein unzerreißbar Band,
Und freudig jubelnd tönen unsre Lieder.
Der heut'ge Tag stählt Kraft und Mut uns neu.
So bleiben wir der alten Fahne treu!
Als die weihevollen Klänge verklungen waren,
begrüßte unser Ehrenpräses Ehr. v. Mickwitz die
Versammlung in einer schwungvollen Ansprache. —
Erinnerung und Hoffnung — so führte er aus — das
sind die beiden Pole, die diesem Fest die Weihe geben.
Frohe Feste und ernste Zeiten in der Vergangen
heit. Immer schwebt uns aber das Losungswort
der Väter — unserer Stifter — vor Augen: „Aufrechter
haltung des deutschen Geistes in edler Geselligkeit".
Doch auch der Hoffnung für die Zukunft ist heute
durch die lebhafte Beteiligung am Feste die Bahn
gewiesen. Dieses gibt uns die Kraft im selben
Geiste wie bisher fortzuwirken.
Hierauf verlas der Präses einen, vom Senior
Ernst Sieb ert verfaßten, allgemeinen Rückblick
aus der Geschichte des Vereins. Der mit dem
Vereins-Motto schloß, welches der Chor hierauf
anstimmte.
Der Ehrenpräses überreichte dann den auf der
Fest-Generalversammlung zu Ehrenmitgliedern des
Vereins kreierten Herren das Diplom und Ehrenzeichen.
30
Jeder dieser Herren dankte für die ihm zu Teil
gewordene Ehrung und sei ganz besonders hervor
gehoben die Rede des Herrn Jakob Eberhard,
Präses des Rigaer Liederkcanzes, welche stürmischen
Beifall hervorrief.
Anschließend folgten nun die Glückwünsche und
Ansprachen der befreundeten Korporationen und
Vereine.
Als erste betrat eine Deputation der Damen
die erhabene Vorstandstribüne, wo die Sprecherin,
Frau Dagmar Armsen, hinweisend auf das
von den Frauen den Sängern vor 25 Jahren ge
stiftete Banner, als Schmuck für dieses eine Schleife
mit langherabwallenden Bändern in den Vereins
farben, sowie ein kostbares Gastbuch, welches zur Ein
tragung der Namen an ähnlichen Festen Beteiligter
dienen soll. Nachstehend die Worte:
All' was in deutschen Herzen gelebt,
Wie sie gelitten, gerungen,
Wie sie jubelnd zum Himmel gestrebt.
All' das habt Ihr gesungen.
Habt durch die Zeiten hin fort und fort
Treu zu dem Banner gehalten,
Wahr dem erkorenen Losungswort,
Hin durch der Zeiten Gestalten.
Da ihr das Banner von Frauenhand
Treulich in Ehren getragen,
Heute soll Euch das Ehrenband
Sprechen von glücklichen Tagen.
Sagen soll es, daß Frauengemüt
Heute, wie einst bei uns waltet,
Und, daß jenem nur Frauenhuld blüht,
Der uns das Leben gestaltet.
Heftet zum Banner den stillen Beweis
Wie Euer Lied uns geklungen:
Daß Ihr machtvoll, schmeichelnd und leis
Frauenherzen bezwungen.
(E. T.)
31
Im Namen unseres Ehrenmitgliedes Frau He
lene Luther, übergab Herr Christian Lu
ther einen aus dem Nachlaß unseres ersten Diri
genten Herrn Krüger stammenden silbernen Pokal,
mit der Bestimmung, das derselbe bei sestlichen Ge
legenheiten vor dem Platze des jeweiligen Dirigenten
des Vereins stehen soll.
Im Namen des Verbandes der deutschen Vereine
beglückwünschte den Verein Herr Volkssekretär I o h.
Beermann. Er wies auf die auch jetzt noch beste
hende Hochwelle im Nhytmus unseres baltischen San
ges hin, der sich immer wiederholt hat. Der Lieder
born unseres deutschen Volkes ist eine Urkraft vor
der wir in Ehrfurcht stehen und wer daraus trinkt,
erhält frische Kraft. Bewußt diese Kräfte ausstrahlen
zu lassen und sie anderen zuzuführen, sei die Auf
gabe des Vereins, zumal in der neuen Epoche des
baltischen Lebens in der wir stehen. Es gelte in
unsere Herzen den Klang, den Nhytmus des Ehores
baltischen Sanges zu pflanzen, des Sanges von Tod
und Leben, vom Ringen und Kämpfen und dem
sieghaften Sichbehaupten. Dann mögen Stürme
brausend toben, sie kommen und vergehen, aber die
Baltentreue muß bleiben.
Im Namen der Bruderschaft der Schwarzenhäupter begrüßte der Erkorene Aelteste am Wort, Herr
Klaus Scheel den Verein und betonte, daß die
Bruderschaft bereits an der Gründung des Vereins
Anteil genommen habe, welches Verhältnis bis zum
heutigen Tage fortbestehe. Die Gründung des Ver
eins sei in diesem Hause erfolgt und wenn jetzt nach
75 Jahren der Verein wieder hier sein Heim ge
sunden hätte, so sei das kein Zufall, sondern die
Bruderschaft habe bewußt durch Erbauung der Olaihalle und anderer Räume ihr Haus zu kulturellen
Zwecken den deutschen Vereinen zur Verfügung ge
stellt. In seiner Antwortrede wies der Vice-Präses
Herr Leonhard von Krusenstjern auf den
32
Zusammenklang her Begriffe in den Wahlsprüchen
beide Korporationen hin: Aut vincendum, aut
moriendum, sei doch eigentlich nichts anderes als:
treu und wahr, für seine Überzeugung zu siegen
oder zu sterben.
In kerniger Rede stellte der Vorsitzende des
Schwarzenhäupterklubs, Herr Dr. Erwin Thom
son, fest, daß der Klub den Verein als seinen
jüngeren Bruder betrachte mit dem er friedlich unter
einem Dache lebe. Und obgleich der jüngere Bruder
vom Himmel mehr Talente und Vorzüge erhalten
habe, so werde diese Tatsache doch vom älteren Bru
der neidlos anerkannt.
Der Präses des Theater-Vereins,
Baron
Alexander Rosen, überreichte mit begrüßen
den Worten als Erinnerungsgabe an das Jubiläum
eine in Silber gefaßte Revaler Theaterchronik.
Darauf betrat der Präses der „Revaler Lieder
tafel", Herr Leopold Jakobson, das Podium
und beglückwünschste den Verein in einer packenden
Ansprache, gedenkend der schon viele Jahrzehnte zu
rückliegenden und sich immer wiederholenden ge
meinsamen Tätigkeit beider Vereine und überreichte
als sichtbares Zeichen der Wertschätzung einen kost
baren silbernen Pokal.
Der Vorsitzende des Jäkelschen Gesangvereins
Herr Dr. med. Viktor Schröppe betonte die
besonders nahen Beziehungen beider Vereine zuein
ander, die mit der 1859 veranstalteten Schillerfeier
ihren Anfang nahmen und sich mit der Zeit immer
mehr und mehr entwickelt haben. Er dankte aber
auch dem Verein dafür, daß er in 75-jähriger treuer
Wacht und stetem Vorwärtsstreben, in seiner sozial
nationalen Gesinnung, das Erbe der Väter, das
Aufgehen im national-idealen Gedenken gefördert
und erhalten hat und überreicht als Ehrengabe den
künstlerisch hergestellten,
als
Akrostichon ver
33
arbeiteten Wahlspruch des Vereins, dessen sinnreicher
Wortlaut folgendermaßen lautete:
„Treu sein — was kann es Höh'res geben —
Und in der Welt voll Trug und Schein
Wahr sein und freudig all sein Streben
Immerdar nur höchsten Zielen weihn.
Sei unser Leben trübe, sei's voll Sonne,
Fort unaufhaltsam rauscht der Strom der Zeit,
Und nur was Schönes wir und Gutes schaffen
Fort lebt allein in der Vergangenheit.
Uns schwebe darum leuchtend vor, das
Losungswort: „Empor, empor".
Ferner übermittelte der Präses des St. NikolaiGesangvereins Herr Oskar Jngman mit der
Überreichung eines Gedenknagels für den Schaft
des Banners die Glückwünsche seines Vereins.
Sodann verlas Herr Drewerk als Vice-Präses
des „Tallinna-Meeste-Laulu-Selts" eine in warmem
Tone gehaltene Adresse.
Es folgten nun die Vertreter der von auswärts
eingetroffenen Deputationen.
Als erster sproch im Namen der Nigaer und
zwar: der „Rigaer Liedertafel", des „Rigaer Lieder
kranzes", des „Sängerkreises" und des „Männerge
sangvereins" der Vice-Präses der „Liedertafel",
Ältester der Großen Gilde Herr E r n st K e r k o v i u s.
Er äußerte seine Freude darüber, daß trotz der drücken
den Zeit der Verein es doch ermöglicht habe, den
Rigaer Vereinen die Gelegenheit zu bieten ihre un
wandelbare Treue auch durch die Tat zu bezeugen
und übergab als sichtbares Zeichen dieser freund
schaftlichen Gesinnung einen mit den vier Emblemen
der Vereine geschmückten wertvollen Pokal.
Es folgte der Präses des „Pernauer Männer
gesangvereins" Herr Lorenzon und übergab einen
kostbaren silbernen Pokal.
34
Der Vice-Präses des „Dorpater Männergesang
vereins" Herr Reinartz verlas eine Adresse und
überreichte ein sür das Banner bestimmtes Abzeichen.
Auf alle die Ansprachen, die häufig spontanen
Beifall auslösten, antworteten abwechselnd der Ehren
präses und der Präses. Daraus wurden vom Ge
schäftsführer die eingelaufenen Glückwunschtelegram
me und ein in warmem Tone gehaltenes Schreiben
des „Moskauer Männergesangvereins" verlesen, wo
mit das Programm des Festaktus erschöpft war.
Nachdem der Präses den Anwesenden in warmen
Worten für alle Beweise der Freundschaft und
treuer Anhänglichkeit gedankt hatte, erhob sich der
Ehrenpräses zu einem Schlußwort, in dem er her
vorhob, daß die heutige schöne Feststunde von neuem
bewiesen habe, daß noch der alte Geist in allen
herrsche, der Geist der Zusammengehörigkeit, der im
harmonischen Dreiklang auch jetzt noch uns Balten
verbindet, der durch keine Grenzpfühle und Schlag
bäume getrennt werden könne. Mächtig brauste
daraus das Heimatlied, getragen durch zahlreiche
Frauenstimmen durch den Saal und bildete den Ab
schluß dieser unvergeßlichen, würdigen Feier.
Am Abend fand das Festkonzert in der Estonia
statt.
Zwei Chorwerke mit Orchester: Hugo Brauns
„Lied des Glöckners" und Max Negers „Weihe
der Nacht", beide in ihrer Art in hohem Grade
stimmungsvolle Werke, bildeten die wesentlichsten und
dankbarsten Leistungen des Ehors. Auch die ä capslla Chöre: Hegars „Waldlied", Taubmanns
„Rosmarin", und d "A l b e r t s „Ermunterung" er
schienen als Neuheit auf dem Programm. In den
Werken von Kaun und Reger hatte das Altsolo
Frl. Klara Maria Elshorst aus Berlin über
nommen. Im Besitz einer wunderbaren, weichen
und ausgeglichenen Altstimme und in durchdachtem
35
Vortrage errang die junge Künstlerin einen starken
Erfolg. Ihre eigenartig herbe, fast novizenhafte
Vortragsweise brachte in den Sololiedern von S ch u=
b e rt, H. Wolf und Brahms besonders starke
Wirkungen hervor.
Als Instrumentalsolistin brachte Frau S. von
Antroposs-Hoerschelmann Klavierkompositio
nen von Brahms, Lißt, Palmgren und Wagner-Brassin mit dem ganzen Reiz ihres duftigen
Anschlages und ihrer bezaubernden Technik zu Gehör.
Eingeleitet wurde das Programm durch eine
Festouvertüre von Otto Muyschel, die den Ver
einswahlspruch „Treu und Wahr" paraphrasiert und
zum Schluß den Ehor mit dem dreimal gesungenen
Wahlspruch hinzuzog.
Bevor noch die abschließende Nummer, der Pilgerchor aus dem „Tannhäuser" erklang, wurde unser Diri
gent, Herr Walter Sewigh, durch einen prächti
gen Lorbeerkranz geehrt, den der Präses mit Worten
des Dankes und der Anerkennung überreichte, worauf
das Orchester mit einem Tusch einfiel.
So kann unser Verein auch auf diesen Teil seines
Jubiläums mit Genugtuung zurückblicken.
Am Abend, nach dem Konzert, versammelten sich
die Festgenossen mit ihren Damen zum Rout wieder
um irrt Schwarzenhäupterhause. Es war gelungen
im Weißen Saal das erforderliche Umarrangement
vorzunehmen und ihn in einen freien, strahlenden
Ballraum umzuwandeln, in dem dann die zwanglose
Begrüßung der Gäste stattfand. Als auch die letzten
Ehrengäste eingetroffen waren, riefen die Klänge der
Musik zur Polonaise; in endloser Reihe bewegten
sich die Paare durch den weiten Saal, das Auge
mußte an der reichen Fülle von Anmut seine Freude
haben, den der reizende Damenflor bei diesem Auf
marsch darbor, bis sich die Paare zum Imbiß bega
ben, der in der Olaihalle und dem großen Keller
36
serviert war, wobei noch in den Nebenräumen klei
nere Tische zur zwanglosen Gruppierung einluden.
Bald luden die Klänge eines Walzers zum Tanze
ein und unermüdlich huldigte alt und jung Terpsichore, bis die frühe Morgenstunde allmählich dem
fröhlichen Treiben ein Ende bereitete und die Teil
nehmer um eine bleibende Erinnerung reicher, einen
denkwürdigen Tag in der Geschichte unserer deutschen
Gesellschaft miterlebt zu haben, ihren Häuslichkeiten
zustrebten.
Im Brudersaal, den das Schwarzenhäupter-Korps
in dieser Veranlassung zuvorkommend eingeräumt
hatte, war eine Ausstellung der dem Verein gehören
den Wertobjekte und Erinnerungen untergebracht.
Auf einem großen Tische standen die zahlreichen wert
vollen Silbersachen und Adressen, die dem Verein
im Laufe der Jahre dargebracht worden waren, fer
ner Alben mit Photographien der Mitglieder und
Gruppenaufnahmen, während im Hintergründe das
erste Vereinsbanner und die alten Vereinsfahnen
gruppiert waren, alle überragt vom Banner des dritten
baltischen Sängerfestes in Reval 1866. Auch das von
den Damen gestiftete Gastbuch lag dort aus, um die
Namen der Festteilnehmer aufzunehmen. — Der
Vater des Gedankens dieser Ausstellung und ihres
Zustandekommens ist unser Senior Herr Karl
<51entp ei. Ihm sei auch an dieser Stelle der
wärmste Dank des Vereins dafür ausgesprochen.
Der zweite Tag vereinigte die Festgenossen zu
einem Herrenabend im Schwarzenhäupterhause. Nach
dem der Ehor einige mit großem Beifall aufgenom
mene Lieder, von denen die meisten wiederholt wer
den mußten, gesungen hatte, betrat unser Ehrenprä
ses, Christoph Mickwitz, mit warmen Applaus
empfangen, das Podium, um einem zu den Stiftungs
tagen des Vereins historischem Brauche zu folgen,
den Abend mit einem Prolog einzuleiten. Wahre
Lachsalwen durchbrausten in der nächsten Viertel
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stunde den Saal, roelcbe - die köstlichen von Humor
strotzenden Verse hervorriefen. Ein Festspiel „Die
drei Türme", gedichtet und in Musik gesetzt von Ehr.
M i ck w i tz gefiel außerordentlich. (Hier sei einge
schaltet, daß der gedruckte Text sowohl für den Prolog,
wie auch für die Türme gegen ein geringes Entgelt,
dessen Erträge dem Denkmalsfond für E h r. M i ck w i tz
zugeführt werden, beim Vorstände erhältlich sind.)
Drei Quartette bestehend aus den Herren: a) Dr.
med. F. Keller, W. Eichw ald, O. Eich waId,
und I. To dies. b) Ehr. Lehbert, H. Jukum,
W. von Gruenewaldt und S. von Rehren
und c) E. Gahlnbück, H. von S i v e r s, Dr.
med. Ullmann und A. von Hunnius, erfreuten
durch ihre Darbietungen. Die in Form einer Festzeitung von Herrn Hermann von Nottb eck
verlesenen „Nachrichten" und das ebenfalls von ihm
verlesene „ABE" lösten ungeheure Heiterkeit aus,
ebenso fanden die von Herrn A. Eruse vorgetra
genen Kouplets reichen Beifall. Unterbrochen und
abgelöst wurden diese Darbietungen von einer Hoch
flut von Reden, wobei alle in Betracht kommenden
Momente als Motive für die Reden dienten und so
manches, von sangeskundigen Stimmen gesungene
„Hoch" durchbrauste den Saal. Es war ein Abend
aus einem Guß, voller Harmonie, Humor und Fröh
lichkeit, der aber auch ernstere Klänge aufkommen
ließ. Die vorbildliche Ruhe, die bei allen Darbie
tungen herrschte, bot den Beweis, daß sie das Inter
esse der Anwesenden hervorriefen. Nur zu schnell
vergingen die Stunden des Abends, der auch zu
gleich den offiziellen Abschluß des Jubiläums bildete.
Der Sonntag vereinigte noch einzelne Gruppen zum
Katerfrühstück, bis die Stunde des Abschieds heran
nahte und den heimreisenden Sangesbrüdern auf
dem Bahnhöfe das Geleit gegeben werden mußte.
Ein letztes Lied, ein letzter Gruß — wie brannte Hand
in Hand — ade, ade —auf Wiedersehn.
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So ist denn auch dieses Fest mit allen seinen erhe
benden Momenten verklungen und gehört der Vergan
genheit an. Ein deutsches Fest in des Wortes voller
Bedeutung. Möge der Geist der Einigkeit, der auch
dem Feste sein Gepräge gab, seine werbende Kraft
bewahren und den Verein einer hoffnungsvollen Zu
kunft entgegenführen, zur Erhaltung der ihm vertrau
ten idealen Güter unseres Volkstums.
In die kaum verklungene Festfreude mischte sich
aber nur zu bald ein tiefer Schmerz, den der Verein
durch das Hinscheiden seines unvergeßlichen Ehren
präses, unseres Heimatdichters Ehr. Mickwitz, er
litt. Und gerade die noch frische Erinnerung an
das Jubiläum, welches durch die tatkräftige Initiative
und durch die aktive Betätigung unseres teueren
Dahingeschiedenen als Ehrenpräses bei allen Teil
nehmern eine bleibende Erinnerung hinterließ, erhöhte
unsere Trauer, war er es doch, der durch lange
Jahre hindurch bei allen wichtigen Begebenheiten des
Vereins durch seine Persönlichkeit und durch seinen umfaßenden Geist diesen Begebenheiten das ihr eigene
Gepräge verlieh, wie es überall war, wo Mickwitz
weilte. Die Heimat trauert und wir mit ihr. Am
25. Mai, seinem 74-jähcigen Geburtstage, schloß er seine
Augen zur ewigen Ruhe und am 28. hat der dank
bare und trauernde Verein ihm seine letzte Ruhstatt
bereitet. In der Kirche und auf dem Kirchhofe
sangen wir ihm die letzten Abschiedsgrüße und in
bewegten Worten rief unser Präses unserem
Mickwitz die letzten Dankesworte nach. Er aber —
unser großer Toter — bleibe immerdar in uns lebendig.
Am 29. Mai hatten wir die Freude unsere
Sangesbrüder des Rigaer Männergesangvereins hier
zu begrüßen, die herüber gekommen waren um ein
Konzert zu geben. Einer liebeswürdigen Einladung
zum gemeinsamen Mittagessen und zum Konzert hatten
Vertreter unseres Vorstandes mit dem Präses an der
Spitze Folge geleistet. Das Konzert erntete lebhaf
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ten Beifall und freuten wir uns unseren lieben
Atti Kirschfeld nach langer Zeit wieder an der
Leitung eines Männerchores tätig zu sehen. Nach
dem Konzert vereinigte ein geselliges Zusammensein
im Schwarzenhäupterhause die Rigaer und die hiesi
gen Sangesbrüder, welches einen durchaus gemüt
lichen Verlauf nahm.
Nach dem Jubiläum ging unser Verein in die
wohlverdienten Sommerserien, die nur ein mal durch
einen Ausflug nach Romme unterbrochen wurden.
Seit dem Herbst ist unser Chor mit Vorbereitungen
zu verschiedenen vorhergesehenen Veranstaltungen be
schäftigt, unter anderem beteiligt er sich auch an den
gemeinsamen Uebungen der 4 hiesigen deutschen
Gesangvereine, welche das deutsche Requiem von
Brahms am Bußtage zur Aufführung zu bringen
beabsichtigen.
Im Januar des vorigen Jahres legten der bis
herige Präses Herr Ernst Siebert und der VicePräses Dr. med. Fritz Keller ihre Ämter nieder
und es wurden gewählt: zum Präses Herr Dr. med.
Johannes Luchsinger und zum Viee-Präses
Herr Leonhard von Krusenstjern.
An Veranstaltungen haben im vorigen Jahre
stattgefunden: Am 5. Januar der Vereins-Weihnachtsabend. Zum ersten Mal seit Bestehen des
Vereins d. h. seit 74 Jahren mit Damen Er fand
allgemeinen Beifall, so daß diese Abende wohl in
Zukunft immer so begangen werden. 3 musikalische
Abende für die Passivität, bei welchen uns durch
ihre Darbietungen die Künstler: Frau Dr. Fi nck, Frau
6. von Antropoff-Hoerschelmann, Frl.
Finck und Herr Pap mehl erfreuten.
Leider
haben diese Abende nicht den verdienten Anklang
gefunden und beabsichtigt der Vorstand für diese
Saison diese Abende in anderer Art zu veranstalten.
Reval, Januar 1925.
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Eöidetud lS.Sept, 1930
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